mallorca
- Stephan Flommersfeld
- vor 7 Tagen
- 9 Min. Lesezeit
mallorca • 2. kapitel flommersfeld / kühn
1 selbstschätzung
B
ich hab mich doch schon viel zu oft selbst übergangen.
S
ich hab mich doch schon viel zu oft selbst übergangen
bin mir auf den füßen gestanden
hab gewartet, bis ich mich selbst ausreden ließ
hab gesagt: „alles gut“, obwohl es in mir geschrien hat
ganz weit drinnen mit einem zu kleinen megaphon
hab gewunken, obwohl ich eigentlich bleiben wollte
hab gelächelt, um nicht zu fragen: nach mir, nach jetzt, nach ob das so bleiben muss
ich war meine eigene rote ampel
hab mich selbst angehalten, um niemanden zu stören – nicht einmal mich
und jetzt?
steh ich da mit mir in der tür
weiß nicht, wer zuerst geht
aber diesmal:
lass ich mich vor
vielleicht noch zögerlich
noch ganz barfuß und nicht ganz frisiert
vielleicht geht’s auch gemeinsam!
2 spülträume
B
huuuuhhh, das öffnet spielräume für klarträume.
nee, nicht wahr jetzt // spuelräume vertippt //
S
spülträume / spielräume:
ich stelle mir vor, dass der schaum nicht nur spült, sondern denkt,
dass im abfluss geschichten verschwinden und irgendwo wieder auftauchen – als wolken.
als wortreste. als du.
meine finger fischen nach gabeln, finden erinnerungssplitter.
ein lachen klebt am glas.
die pfanne trägt den abdruck eines tages, den ich nicht mehr will, aber auch nicht loswerde.
draußen schreit ein kind nach „pause“.
drinnen träume ich von fluchtwegen durch das loch im sieb,
von einem spielplatz hinter dem geschirrstapel,
einem ort, an dem niemand aufräumt, weil chaos da atmen darf.
spielräume.
du sagtest mal: „freiraum ist das, was man sich nimmt, nicht das, was man bekommt.“
ich glaube, du meintest mich.
ich glaube, ich meine dich.
und während der letzte tropfen fällt,
greife ich nach dem löffel, der dir einmal entglitt,
und frage mich, ob man auch erinnerungen ins abtropfbecken legen kann.
3 tumbes glück
B
wäre man einfacher glücklich, wenn man tumber wäre.
ich hoffe, tumb darf man steigern.
S
es ist sommer.
die fliegen tanzen über dem obst, das radio spielt leise bachata,
und irgendwo lachst du – ganz kurz in mein ohr.
ich trag noch dein t-shirt, doch es riecht nicht nach dir.
deine worte am handy – klingen wie ein live playback.
nur der ventilator bezeugt unsere fatal attraction.
du sagtest: „vielleicht bleib ich“, meintest: „ich geh.“
ich sagte nichts und meinte: bitte nicht jetzt.
es ist sommer.
ich schneide melone, nein – ich zerschneide melone,
ein ganz sauberer schnitt, mit einem japanischen messer,
von einem samurai-mönch im heiligen feuer geschmiedet!
doch sie bleibt kleben, klebt an meinen händen wie du.
und plötzlich kommt mir alles so lächerlich vor.
das obst. das t-shirt. ich.
ach, wie tumb.
tumb wie tumbes tor in der 89.,
tumb wie diese frisur – ein bisschen zu gewollt, ein bisschen zu sehr „noch 2006“.
tumb wie ein emoji hinterm beziehungsaus: „na, wir können ja freunde bleiben :)“
tumb wie dein proteinshake mit plastikblume.
du kamst mit sonnenbrille, sprüchen aus dem netz und sagtest:
„ich fühl’s grad einfach nicht mehr.“
und ich dachte nur: ach. wie tumb.
und tat so, als wär’s ok.
und du lachtest nur tumb.
sowas von!
4 sturmjäger, narren und andere helden
B
wie ist das mit sprache?
wenn ich's lebe, ist es.
so wie mein X.
obwohl ich im gemeinen sinn gesehen schon recht pingelich sein kann.
für mich ist das eine andere ebene von anzug tragen.
darum geht's auch:
bedeutung klar machen.
bedeutungen klären.
arten von interpretationen, sichtweisen, standpunkten und perspektiven aufmachen.
auch mal redundanzen gerecht werden.
hat mich oft genervt in amisachbüchern.
(jetzt entiffere das erst mal.)
au, gleich überschlägt es sich wieder.
und ich ich schreibe wieder liegend linx.
bennooooo, so wird es nicht besser, schulter und arm.
alarm alarm … STOPP
halt ich's aus, wenn ich es ernst nehme?
// aber jetzt ist schluss. gleich //
S
dass du den sachen immer auf den grund gehen musst!
du bist ein besessener bedeutungsjäger. – bb!
immer auf der pirsch nach einem tieferen sinn, selbst wenn da nur ein kieselstein liegt.
du bist ein sturmjäger an der wörterfront.
nur keine falsche bescheidenheit! du kennst deinen wert.
du bist der hofnarr der wortkunst.
du bist ein seismograph leichtfertiger oder gar fahrlässiger fügungen.
da verstehst du keinen spaß. da bist du rigoros. da kündigst du einem schon mal die freundschaft.
immer bist du guter hoffnung, dass die sprache die sprache entlarvt und der wahrheit zum sieg verhilft.
ist das nicht ein bisschen naiv?
B
naiv vielleicht.
aber schön.
wie ein kleines tischfeuerwerk,
das du anzündest,
und auf einmal stiebt’s in farben auseinander,
und für einen moment glaubst du,
du siehst wirklich,
was du sonst nur ahnst.
und dann?
dann fegst du die reste zusammen,
pustest die asche von der tischdecke,
und sagst:
war nichts.
aber du weißt:
da war was.
kurz.
wild.
leidenschaftlich.
S
und wer fegt dich zusammen, wenn du wieder auseinanderstiebst?
wer pustet dann die asche von deiner seele?
du bist manchmal wie einer, der lieber brennt als friert.
und manchmal auch einer, der lieber friert als sich verbrennt.
du willst immer beides haben, benno.
das feuer und den drink on the rocks.
die wahrheit und die poesie.
die kontrolle und das taumeln.
glaubst du, das geht?
sag, benno,
glaubst du, das geht?
5 malllllorca
B
ja, ja! ich bin naiv.
manchmal.
total.
manchmal.
male mal.
nicht ein mal malen.
einmal malen.
male male male malle
yep, malle war auch immer geil.
malle für alle sagte das dada in bennoben.
maLLorca, wie immer mal zu hören ist.
selbst von reingeschneiten, die heimische winter meiden.
also, maJorca, mit langem, weichem J,
so wie in: Jombards – nicht lombards.
oder JuJ – nicht lull, nicht lüll, nicht lall.
dieses J, das nicht deutsch ist, nicht französisch,
sondern spanisch-katalanisch,
ein gleitlaut, ein schmelzlaut,
wie zunge auf zunge, nicht sch, nicht j, nicht tsch, nicht glglgl, aber irgendwas dazwischen.
wie wenn man flüstert und gleichzeitig tanzt.
JuJ – klingt wie ein versprechen aus einem südlichen mund.
Jombards – wie ein ortsname, den man sich nicht traut zu sagen, wenn man nüchtern ist.
und dann sagt jemand: „ich flieg nach maLLorca.“
so stumpf, so deutsch.
und du willst sagen: maJorca!
aber du nickst nur.
weil du ja naiv bist.
manchmal.
total.
du willst J.
nicht urlaub.
nicht alltag.
nicht arbeit.
nur J.
ein laut, der sich nicht erklären lässt.
ein laut wie eine geste.
eine hand, die dir fast über die wange streicht, aber es dann doch lässt.
J – das ist wie:
ich könnte dich lieben, aber ich geh jetzt lieber tanzen.
wie:
ich wollte grad was sagen, aber dann kam mir die taube dazwischen.
so eine lahme, die sich vor deinen schuh schleppte und tat, als wär sie wichtig.
du bist stehen geblieben.
nicht aus mitleid.
eher so: aus verlegenheit.
und dann war der satz weg.
vielleicht wolltest du auch gar nichts sagen.
vielleicht wolltest du nur mal ll sagen.
ohne grund.
ohne ziel.
nur J.
so wie: guten tag.
oder: ich mag dich, aber ich hab angst vor deinen möbeln.
oder du wolltest gar nichts sagen.
nur hören, ob das J noch funktioniert.
6 die atmosphäre
B
by the way, mein liebster lieblinxversprecher: atmosphäre anstelle von affäre.
inzwischen fast schon kultiviert in meiner mammasprache
S
interessant!
hinter dem versprecher verbirgt sich, glaube ich, eine wahrheit!
ich bevorzuge die atmosphäre!
m und ich hatten keine affäre.
eigentlich war es mehr eine atmosphäre.
einen raum, den wir nicht betreten mussten, weil wir schon drin waren.
keine fluchtwege.
keine heimlichkeiten.
nur dieses atmen.
leicht miteinander verwoben, manchmal.
niemals ein einziger strom.
wir haben nicht gezögert,
nur manchmal gelauscht, ob der raum noch erfüllt ist,
ob er größer wird, wenn wir schweigen.
wir hatten keine affäre.
eigentlich war es mehr eine atmosphäre.
und manchmal, wenn der wind günstig stand,
haben wir uns daran festgehalten, als wär’s ein segel.
B
… darum nenne ich meine beziehungen ja atmosphäre.
eine dunst- oder dampfkugel … aus dem griechischen
7 die welt als schauplatz
B
immer wieder entstehen bilder / illus in meinem kopf. kürzlich – mitteleuropa aus dem all gesehen. ein spielfeld (fußball bzw. eine spielfläche mit einer anmutung, die möglichst global kulturell funktioniert. / auf diesem „spielfeld" bewegen sich kriegswaffen, panzer, flugzeuge, raketen > kriexschauplatz … >>> // in dokument kopiert//
S
aus dem all sinkt der blick auf das flüssige auge der welt:
ein wal kreist, trägt die stummen gebete der tiefsee.
im schlund des leviathans zittert die stadt, träumt von mauern und märkten,
von häusern aus staub und von lebendigen schatten am rande des feuers.
jonas schläft in der kammer aus atem, ein lebender im bauch des zorns,
gehalten, verloren, während die nacht weiterzieht.
8 patientenverfügung
B
fuck!
wenn ich mich auf tai chi konzentrieren würde
pause
ja was dann?
könnte ich menschen mitreißen und in den besten fällen begeistern?
wirklich vermitteln, was sich so alles darin verbirgt.
dachte gerade: diese klischeemännlichdümmliche standfestigkeit, steifigkeit,
steifheit wollte ich's grad nicht nennen.
plump und tumb plumbum klimbim
// die „latin lovers“ unter uns erkennen sicher den chemischen zusammenhang
und dann doch die meisten, die sich zwischen kreuzworträtsel lösen, sudokussen und patientenverfügung befinden und winden. //
patientenverfügung – dafür eine annehmbarere bezeichnung könnte helfen.
so was bucketlistiges.
was mir zu sehr nach packliste klingt, das zwar auf eine bevorstehende reise verweise…
nein, auatsch.
aber packen strengt an.
alleine schon: welche optionen will ich mir offen halten // offen lassen // ?
was muss mit, was kann, was darf.
vor allem das was darf beim fliegen.
ich vermisse diese kindlich unbeschwerten zeiten,
reisen hing in erster linie von der kohle für die nächsten tankfüllungen ab.
aah, automobil rollt mit kohle zum ziel.
rock'n roll!
S
patientenverfügung: kästchen ankreuzen, leben nach vorgabe
zahlen rein, gefühle raus, hauptsache ordnung
sudoku: vier felder weiter vergessen was fehlen darf, nicht was fehlt
zwischen beiden: ein radiergummi, der zu weich ist, um wirklich spuren zu tilgen
vielleicht lieber: felder offenlassen
ein leeres sudoku als testament
vielleicht lieber: statt ankreuzen ein haus draufzeichnen,
über dem die sonne scheint,
mit einem auto davor,
mit dem man sonntags aufs land fährt,
wo der vater in die büsche pinkelt,
und die capri-sonne einen von innen durchflutet,
wo libellen durch asynchronen flügelschlag in der luft stehen,
und die mutter mit einer decke einen wohlfühlplatz markiert:
ganz genau hier, kein zweifel.
B
und wieso FUCK?
zu viel im focus.
zu viel mit bedeutung, zu viel deutung.
schmunzle eben über eine erinnerung.
ein buch über kunst. natürlich.
der autor, es war keine frau. sicher.
josef beuys benannt mit „deutobold mystifizinski symbolowitsch“
(das dürfte jetzt etwa vier jahrzehnte zurückliegen)
in witzig und wahrscheinlich unverstanden.
soll ich's loslassen.
deuten. bedeuten. andeuten.
nè, c_deuten is dada, und papst is‘ punk und punk is‘ papst.
PUNKT!
S
vielleicht lieber: statt deuten ein fenster kippen
die luft reinlassen, die beuys’schen hasen fliegen lassen
ohne flugplan,
weitergetragen vom flüstern, das andere ufer streifend,
wo die menschen nachts in ihren eigenen ohren schlafen,
sie wie seidentücher ausbreiten
und ihren kopf darauf betten, einträchtig mit dem flüstern der welt.
wo eingeborene den morgen in einem hölzernen käfig zwischen den beinen hüten,
das licht des tages wie kostbare vögel bewahren,
wo männer die feuer mit ihren zähnen entzünden.
ein lächeln genügt, und funken springen aus ihrem mund
und erhellen die nacht mit geschichten,
die niemals zu einem ende kommen.
B
eigentlich wollte ich „eigentlich“ als begriff ein bisschen durchnudeln.
eigentlich ist es doch, wie „doch“ auch, ein gesprochenes füllwort.
wenn es etwas der sache eigenes ist, dann wird verstärkt, verdichtet.
als abschwächung oder verunsicherung ist es auch unterwegs.
konzentration.
vielleichter später.
S
vielleichter klingt gut.
vielleicht behalten wir ja das vielleichter!
vielleichter bauen wir uns daraus ein boot.
oder eine atmosphäre.
9 der tod
B
und mit dem tod ist es doch eigentlich, hm, eigentlich auch ganz einfach:
nach dem leben kommt für uns genau das gleiche wie davor.
d.h. wir haben den beginn dieses hier menschlich definierten lebens erlebt,
zumindest waren wir dabei.
so ähnlich sollte es mit dem tod sein.
wir können uns das ganze auch umgekehrt vorstellen.
außerdem – also, zuhören – außerdem sind uns in allem schon etliche vorausgegangen.
und – haben sie’s überlebt?
oder und sie habens auch überlebt.
nee, egal.
wir werden ja sehen.
S
und ich muss an diesen alten film denken, weißt du?
„das hausboot“ mit cary grant und sophia loren,
wo der vater seinem sohn erklärt,
dass kein tropfen wasser verloren geht.
nicht von dem wasser, das am himmel verdunstet,
nicht vom regen, der auf das dach trommelt,
nicht einmal von den tränen, ganz egal, ob sie reichlich oder spärlich fließen.
nichts geht verloren.
alles kehrt zurück.
vielleicht nicht dorthin, wo es war,
aber irgendwohin.
vielleicht treiben wir ja auch,
in diesem kreislauf aus auflösung und neubeginn.
vielleicht ist vielleichter einfach nur ein anderes wort für:
nichts geht verloren.
B
im übrigen hält man sowieso viel mehr aus als man denkt.
wenn man muss.
geht ja auch nicht anders.
annerschder halt. weisch?
wobei, nierenkoliken, migräne oder was übles am magen...
und man kann plötzlich keinen mehr leiden.
erdulden, ertragen – tolerare...
toleranz, ein in der freimaurerei oft gehörter begriff.
ich versuchte hin und wieder zu verdeutlichen, dass akzeptanz der folgeschritt ist.
S
du redest wie einer, der schon ein ticket hat und trotzdem nicht gern koffer packt.
ich muss gerade an fellini denken.
immer wieder denke ich an fellini,
an seinen film, den er nie gedreht hat:
„die reise des guiseppe mastorna“.
mastorna, der nach einem flugzeugabsturz in einer stadt landet,
die wie das leben aussieht,
aber keiner mehr sagt, wo es hingeht.
vielleicht ist es bei uns auch so.
wir steigen irgendwo aus, kennen alles – und doch ist alles fremd.
und langsam verstehst du:
du bist schon unterwegs.
schon immer.
und immer nach hause.
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